Rede von Herrn

Regierungspräsidenten

Dr. Rudolf Kühner

anlässlich der feierlichen Enthüllung des Gedenksteins

„Mahnender Mühlstein“

auf dem Gelände der Europäischen Schule KA

am 05.10.2010

Sehr geehrter Herr Direktor Hoyem,

sehr geehrte Frau Erste Bürgermeisterin Mergen,

sehr geehrter Herr Ziser (Journalist),

sehr geehrter Herr Heibel (Initiator),

sehr geehrte Damen und Herren,

„es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt“, diese Worte stammen aus dem Mund keines Geringeren als des großen Entdeckers und Geistes Albert Einstein!


Die Worte hallen nach: Alle 30 Minuten wird ein Deutschland ein Kind missbraucht. Häufig geschieht dies in der Familie. Tatort und Umfeld sind alle sozialen Schichten. In vielen Fällen ist das Ver­brechen keine einmalige Tat, sondern eine jahrlange Qual. Die offiziellen Statistiken über den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sind schon erschreckend genug. Und doch müssen wir davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch ein Vielfaches höher ist!


Welche Ausmaße die lange tabuisierten Übergriffe haben, wurde uns in den letzen Wochen und Monaten bald täglich vor Augen geführt. Verstrickt in die schlimmen Machenschaften waren und sind auch hoch angesehene Institutionen und Eckpfeiler unseres moralischen Vertrauens. All dies lässt uns nicht nur in Trauer, sondern fassungslos zurück!


Für die Initiatoren und Organisatoren des bundesweiten Projekts „Mahlender Mühlstein“ waren die schrecklichen Tatsachen Antrieb und Motivation genug, die Missstände einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen zu führen und das Thema auf diese Weise wach zu halten. Das tut auch dringend Not: Denn wie so oft bestimmt zwar das Thema die momentanen Schlagzeilen, doch droht es auch, wieder aus dem allgemeinen Bewusstsein zu verschwinden, sobald sich die Lawine der öffentlichen Aufmerksamkeit anderen, vorgeblich aktuelleren Themen zuzuwenden gedenkt.


Kinder brauchen Liebe und Geborgenheit. Werden sie enttäuscht, mißhandelt oder gar missbraucht, sind sie oftmals ihr Leben lang traumatisiert. Kinder, die man nicht liebt, laufen Gefahr, als Erwachsene selbst nicht zu lieben. Unsere Verantwortung, dies zu verhindern, ist daher groß. Das steinerne Mahnmal, dass wir heute in Karlsruhe sehen, symbolisiert die schwere Last der Opfer in sehr anschaulicher Weise.


Der Mühlstein ist schon des längeren auf Reise: Es war schon in Regensburg und Stuttgart, in Tübingen und Freudenstadt, in Freiburg und München, zuletzt in Bamberg und heute in der Fächerstadt. Und auch hier in Karlsruhe gibt es Kinder, die an der Last Ihrer Qualen erdrückt zu werden drohen.


Für mich war es daher keine Frage, als ich von Herrn Minister­präsidenten Stefan Mappus, der heute leider terminlich verhindert ist und Sie alle herzlich grüßen lässt, Ende letzter Woche gebeten wurde, an der heutigen Veranstaltung für ihn teil zu nehmen und so auch für das Land und die Landesregierung klar Flagge zu zeigen.


Ich danke der „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.V.“ und dessen Kooperationspartnern, dass sie dieses großartige Projekt möglich gemacht hat. Ich danke der Europäischen Schule in Karlsruhe sowie der Stadt Karlsruhe dafür, dass der „mahnende Mühlstein“ auch in dieser Stadt sicht­bar zur Zivilcourage mahnen und einen Beitrag leisten kann, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen.


Kinder stehen laut Verfassung unter besonderem Schutz. Unser aller Aufgabe ist es, ihnen ein sicheres und geborgenes Aufwach­sen zu ermöglichen. Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder vor Gewalt und Missbrauch in Einrichtungen geschützt werden. Gerade das Thema sexualisierte Gewalt in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und der Umgang damit waren zuletzt zentraler Diskussionsstoff in vielen Foren und Gremien.


Es liegt auf der Hand, dass der besonderen Verantwortung in Einrichtungen, in deren Obhut Kinder gegeben werden, in einer ganzen Reihe von Fällen in der Vergangenheit nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist. Die Bundesregierung hat Schlüsse gezogen und einen runden Tisch zum Thema installiert. Ziel ist es, konkrete Antworten darauf zu finden, welche Hilfe und Unterstüt­zung die Opfer benötigen, was nach Übergriffen zu tun ist und wie sie sich vermeiden lassen.


Natürlich kann das Leid der Opfer nicht aufgewogen werden. Dennoch muss es hinreichend Anerkennung finden. Das bedeutet, dass wo immer in Einrichtungen Übergriffe gegenüber Kindern statt finden mit null Toleranz reagiert werden muss. Statt Scham und falsch verstandener Kollegialität gilt es, die schockierenden Taten aufzuklären. Sicherlich wird es dazu auch nötig werden, diejenigen Strukturen aufzubrechen, welche das bisher verhinderten.


Ferner müssen wir Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, Missbrauch zu erkennen und auch klar zu benennen. Wir müssen sie stark machen, damit sie sich trauen, über Vorfälle zu sprechen, so schwer dies im Einzelnen auch fallen wird. Gleichzeitig müssen wir die Ansprechpartner und Anlaufstellen, Eltern und Erziehungs-berechtigte sensibilisieren, damit sie auch nonverbale Signale richtig und vor allem bei Zeit erkennen.


Uns alle betreffend wünsche ich mir, dass immer mehr Menschen begreifen, dass wir ein mitverantwortlicher und schuldiger Teil des schlimmen Geschehens sind, solange das Bedrängen von Kindern und Jugendlichen im unmittelbaren eigenen Umfeld lediglich zur Seite geschoben, vertuscht und bagatellisiert werden. Hinschauen ist erste Bürgerpflicht - Handeln kommt gleich danach!


Insgesamt ist insoweit noch einiges zu tun. Heute wurde in Karlsruhe ein „schwer wiegendes“ Zeichen gesetzt. Jeder ist dazu aufgerufen, es richtig zu deuten und weiter zu tragen, damit es überall ankommt. Sorgen wir alle dafür, dass der große italienische Dichter des Mittelalters Dante Aligheri mit seinen Worten recht behält: „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: Die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen unserer Kinder!“

Vielen Dank.