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Fluch-Übergaben

Die erste Fluch-Übergabe
Jens A. übergibt die Plastik seinem Großonkel, Hans-Arno M.,
am 29. Mai 2005 im Ev. Gemeindehaus Birkenfeld

 

 

 

 

Foto: Johannes Heibel

 

Schuld hat er!
Jens A. erzählt:

"Mein Großonkel Arno war ein gebildeter Mann, wusste auf alles eine Antwort. Wenn er redete, schaute ich ihn voller Ehrfurcht an. Ja, ich bewunderte ihn! Er war mein Vorbild und ich hatte ihn richtig gern. Auch Arno mochte mich, war immer für mich da, auch dann, wenn mir mein Stiefvater wieder einmal zu verstehen gab, dass man mich zu Hitlers Zeiten aufgrund meiner körperlichen Behinderung vergast hätte.

Dabei hatte ich meinen Großonkel erst richtig kennen gelernt, als meine Oma, Arnos Schwester, ihn nach einem schweren Arbeitsunfall pflegte. Und so ergab es sich, dass ich ihn öfters sah. Acht oder neun Jahre alt muss ich damals gewesen sein. Später haben wir uns gegenseitig besucht. Es war eine schöne Zeit. In den Osterferien 1992, ich war zwölf Jahre alt, durfte ich Arno sogar für zwei Wochen besuchen. Oh, habe ich mich gefreut!

Er lebte allein in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Ich fühlte mich wohl bei Arno, er war der erste Mann, der mich so akzeptierte, wie ich war. Wir unternahmen sehr viel, gingen schwimmen und spazieren. Zu Arnos Hobbys zählte auch das Dichten und Zeichnen. Bald schon waren es auch meine Hobbys. Ich schaute mir vieles von ihm ab und wir teilten unsere Interessen. Mein Großonkel war ein richtiger Vaterersatz für mich geworden. Er gab mir die Nähe, die Liebe, die ich von meinem Vater und Stiefvater nie bekam. Aber da war noch die andere Seite. Lange habe ich es nicht verstanden, wollte auch nichts sagen, da ich Angst hatte Arnos Freundschaft zu verlieren. Dabei fing alles so harmlos an.

Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse musste ich gemeinsam mit Arno in einem Bett schlafen. Das war für mich zunächst völlig in Ordnung. Am zweiten Tag, ich kann mich noch genau erinnern, fing es dann an. Nach dem Besuch einer Eisdiele gingen wir bald ins Bett. Plötzlich wurde Arno immer zärtlicher zu mir. Er forderte mich auf, meinen Schlafanzug auszuziehen. Als Grund gab er an, dass es ja so heiß wäre. Auch Arno entkleidete sich. Als ich dann nackt neben ihm lag, fasste er an meinen Penis und an meinen Po. Vor Angst konnte ich nichts sagen, war wie gelähmt. Es war mir sehr unangenehm. Arno musste es gemerkt haben, aber er hörte nicht auf, ging immer weiter. Das ganze lief dann jeden Abend so ab. Einmal sagte er zu mir, dass ich einfach an die Mädchen aus der Eisdiele denken solle. Ich fühlte mich ausgeliefert, konnte mich nicht wehren. Nach den Ferien vermied ich zunächst engere Kontakte mit meinem Großonkel. Von den Übergriffen erzählte ich niemandem etwas. Als es Arno drei Jahre später nochmals versuchte, ließ ich mir dies jedoch nicht mehr gefallen.

Ich wehrte mich und erzählte es wenig später meiner Mutter. Meine Mutter und meine Oma glaubten mir und stellten Arno zur Rede. Als meine Mutter über die Vorfälle auch mit einem Nachbarn redete, ging dieser, ohne uns zu fragen, zur Polizei und erstattete Anzeige.
Ich wurde daraufhin polizeilich vernommen. Eine Psychologin äußerte jedoch in ihrem Gutachten Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit. Da mein Großonkel die Aussage verweigerte, wurde das Verfahren rasch eingestellt.

Für mich brach eine Welt zusammen. Man hatte mir nicht geglaubt. Das war für mich ganz schlimm. Ich fühlte mich gedemütigt und nicht für voll genommen. Es beschäftigte mich ständig, ich kam nicht darüber hinweg. Im Jahre 2000 nahm ich, unterstützt von einer Psychologin und dem Sozialpädagogen Johannes Heibel, die Sache selbst in die Hand. Obwohl mir viele Dinge zwischenzeitlich noch klarer geworden waren und ich mir bei meiner schriftlichen Aussage wirklich alle Mühe gab, wurde das Verfahren erneut eingestellt. Man verzichtete sogar auf ein erneutes Gutachten. Ich war völlig am Ende. Immer wieder wurde ich von Selbstvorwürfen geplagt. Die Erlebnisse mit meinem Onkel und die erneute Einstellung des Verfahrens ließen mir trotz therapeutischer Hilfe keine Ruhe.

Im Frühjahr 2005, ich hatte von einem Projekt der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e.V. gehört, fasste ich dann einen Entschluss. Ich wollte meinem Onkel ein letztes Mal gegenübertreten und ihn mit Tat und Folgen konfrontieren. Johannes Heibel, der auch Vorsitzender dieser Initiative ist und mich über all die Jahre unterstützt hatte, bat ich mich zu begleiten. Kurze Zeit später kam es tatsächlich zu einem Treffen. Bevor ich irgendwas sagen konnte, gestand Arno die Vorfälle und forderte mich auf, ihn zu schlagen. Ich solle es ihm mal so richtig heimzahlen. Arno konnte mich wohl noch immer gut einschätzen. Er wusste, dass ich so etwas nie tun würde. Als ich ihn stattdessen mit den konkreten Übergriffen konfrontierte, schien er beeindruckt. Er gab sich sehr reumütig und erläuterte seine damaligen Gedanken. Arno schilderte, wie er in der Eisdiele bemerkt habe, dass ich mich für Mädchen interessiere. Am Abend sei es dann so über ihn gekommen. Er könne es sich allerdings nicht näher erklären und sei selbst über sich erschrocken gewesen. Arno räumte auch ein, dass dies der größte Fehler seines Lebens gewesen sei, er sei aber nun bereit auch öffentlich zu den Taten zu stehen und die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen."

Dezember 2005
Jens A.

Verleih der Ausstellung über die Initiative gegen Gewalt: Tel. 0 26 23 / 68 39